Eine Podiumsdiskussion im Bauhausmuseum und ein Gedenken im Dessauer Stadtpark erinnern am 11. Juni 2025 an den neonazistischen Mord an Alberto Adriano vor 25 Jahren

Am 11. Juni 2000 schlugen, traten und misshandelten drei junge Neonazis (mehr dazu hier…) den mosambikanischen Vertragsarbeiter Alberto Adriano brutal im Dessauer Stadtpark (mehr dazu hier…) und grölten dabei rechtsextreme Parolen. Um ihr Opfer zusätzlich zu erniedrigen, wurde es teilweise ausgezogen. Er erlag drei Tage später seinen tödlichen Verletzungen. Dieser rassistische Mord stellte damals eine Zäsur im öffentlichen Umgang mit rechter Gewalt dar. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder rief auch wegen diesem Fall den „Aufstand der Anständigen“ aus. Und es wurden Präventions- und Interventionsprogramme aufgelegt die bis heute existieren. Ein Vierteljahrhundert später nimmt das Multikulturelle Zentrum Dessau dies zusammen mit Kooperationspartnern zum Anlass (mehr dazu hier), auf diesen für die Stadt und die gesamte Republik so geschichtsträchtigen Tag reflexiv zurückzublicken.
Rund 60 Gäste haben im Ambiente des Bauhausmuseums Platz genommen. Bevor die Podiumsdiskussion „Warum Adriano?“ beginnt, begrüßt die Bauhausdirektorin Barbara Steiner die Anwesenden mit den Worten: „Ich finde es wichtig, dass diese Veranstaltung genau hier stattfindet.“ Auf ihrem Pendelweg zwischen Museum und historischen Bauhausgebäude kommt sie immer an einem Rosenstrauch vorbei, der einst in Gedenken an die im Mai 2016 brutal in Dessau ermordete, chinesischen Gaststudentin Li Yangjie erinnert (mehr dazu hier…). Auch wenn es bei diesen Verbrechen multiple Motivationslagen gab, ist sich die Direktorin sicher: „Wir müssen gegen das Verdrängen und Vergessen aufstehen. Rassismus ist nichts aus der Vergangenheit, sondern ein Thema das aktuell ganz offensichtlich ist.“

Die Bauhausdirektorin Barbara Steiner
Jean-Luc Ahlgrimm stellt in seinem kurzen Eröffnungsstatement als Vorsitzender des Multikulturellen Zentrums klar: „Alberto Adriano zu gedenken ist alternativlos, er war ein Mensch.“ Und noch eins ist ihm wichtig: „Wir wollen über strukturellen Rassismus sprechen, was hat dieser Fall mit unserer Gesellschaft gemacht?“

Jean-Luc Ahlgrimm vom Multikulturellen Zentrum
Diese Vorlage nimmt der Moderator Ralf Zaizek auf und sagt: „Zu diesem Podiumsgespräch kann ich Sie nicht ‚ganz herzlich‘ begrüßen, dass wäre dem Anlass nicht angemessen.“ Die erste Frage richtet Zaizek an Rimma Fil, der Geschäftsführerin des Landesverbands Jüdischer Gemeinden in Sachsen-Anhalt. Sie gibt zu Protokoll: „Für alle Juden in Deutschland ist Diskriminierung immer aktuell“. Das sieht Abdoul Colibaly als Integrations- und Migrationsbeauftragter der Stadt Magdeburg strukturell ähnlich: „Rassismus und Menschenfeindlichkeit war schon immer da, wir müssen das als gesellschaftliches Problem erfassen. Wenn wir nicht begreifen, dass wir alle aufstehen müssen, dann werden wir das nie überwinden.“
„Ich finde es schwierig über dieses komplexe Thema zu sprechen ohne, dass es banal wird“, sagt Nathalie Schlenzka, die Referatsleiterin für Forschung und Grundsatz bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Schon alleine die Tatsache, dass 43% der dieser Stelle gemeldeten Diskriminierungsfälle einen rassistischen Hintergrund hätten, zeige die Relevanz. Zudem bricht die Referatsleiterin eine Lanze für die engagierte Zivilgesellschaft und fordert von den Zuständigen, dass die Programme für Demokratie und gegen Rechts unbedingt fortgesetzt werden müssten. Da sei sie nicht immer optimistisch, ihre Teilfrustration ist ihr förmlich anzumerken.
Günter Piening, der als damaliger Integrationsbeauftragter Sachsen-Anhalts die Konsequenzen des Mordes an Alberto Adriano erlebte und später auch im Berliner Senat für Integration zuständig war, stimmt da nahtlos zu: „Meine Stimmung ist düsterer geworden, vor allem erschreckt mich die Kontinuität von Rassismus.“ Allerdings sieht auch er die entstandenen Programme und Beratungsstellen positiv, ohne die nichts laufen würde. Zur Delegitimierung und Diskreditierung dieser wichtigen Arbeit hat er eine deutliche Meinung: „Nicht nur Migrantenorganisationen stehen durch die AfD unter Druck. Heute haben wir eine Normalisierung rechtsextremer Diskurse, die ich mir so nicht hätte vorstellen können. Selbst das Staatsbürgerschaftsrecht steht heute zur Disposition, dass gab es das letzte Mal im Nationalsozialismus. Wenn ich heute in die Communitys hineinhöre, diskutieren die ernsthaft über Auswanderung.“
Rimma Fil bringt noch eine andere Perspektive ein, weg vom Rassismus: „Wir erleben heute einen drastischen Anstieg des Antisemitismus, mehrmals am Tag gibt es entsprechende Vorfälle. Wir haben tausendmal gehört ‚Niemals wieder‘ , aber es passiert immer wieder.“ Diese permanente Gefahr – quasi der normalisierte Ausnahmezustand – für jüdisches Leben in Sachsen-Anhalt drückt sie greifbar aus: „Wir haben Angst um unsere Kinder, die Synagoge wird 24/7 geschützt, wir haben Angst die Kippa zu tragen. Und viele Stolpersteine werden geklaut oder beschädigt.“

Von links nach rechts: Günter Piening, Rimma Fil, Ralf Zaizek, Nathalie Schlenzka und Abdoul Colibaly
„Rassismus erlebe ich sobald ich mein Büro verlassen oder nach Berlin fahre“, sagt Abdoul Colibaly und bringt damit die Betroffenenperspektive ein, ohne dabei allzu sehr identitätspolitisch zu werden: „Wir brauchen kein Mitleid, sondern gesellschaftliche und politische Teilhabe.“
Nathalie Schlenzka sekundiert, wenn sie meint: „Wir müssen Schutzräume bieten, es geht aber gleichzeitig um die Sensibilisierung von Institutionen. Im Fall des Mordes an Alberto Adriano hat die Justiz vorbildlich agiert, die rechtsextreme Motivation der Tat eindeutig herausgestellt.“ Und weil dies noch immer nicht überall der Normalfall wäre, schiebt sie hinterher: „Alle Institutionen müssen lernen, dass sie ein stückweit rassistisch geprägt sind.“
„Natürlich kommt die Verantwortung auch von oben, die Zivilgesellschaft ist nichts, wenn die Politik falsche Weichen stellt“, sagt Günter Piening auf die Frage des Moderators, was nun zu tun ist. Er holt dazu weiter aus: „Es müssen Privilegien angezweifelt werden. Man sieht das an den AfD-Wählern, die haben Angst das ihre Privilegien schwinden, obwohl sie gar nicht gemeint sind.
„Immer dieses ‚ABER‘“, stellt Rimma Fil auf antisemitische Klischees und Stereotype ab, die wohl auch in dem Satz: ‚Man wird doch wohl noch sagen dürfen (…)‘ kulminieren. Und noch eine vermeintlich unangenehme Wahrheit spricht die Geschäftsführerin der Jüdischen Gemeinden an, die von vielen und viel zu lange tabuisiert wurde: „Es gibt auch in Sachsen-Anhalt muslimisch geprägten Antisemitismus, darüber müssen wir ehrlich und offen diskutieren.“ Was hier helfen könne, sei eine gutausgestattetes Bildungssystem und Leute die sich trauen.
„Ich glaube Programme wie ‚Demokratie Leben‘ dürfen nicht wegfallen“, ist sich Nathalie Schlenzka sicher. Alle müssten diese Forderung in einem koordinierten und solidarischen Appell adressieren und dafür auch die örtlichen Bundes- und Landtagsabgeordneten einbinden. Und noch einen ‚blauen Elefanten im Raum‘, den niemand anders bei diesem Thema anspricht, erwähnt sie hinsichtlich der Fördersituation: „Ich möchte mir nicht ausmalen, wo wir hier nach den Wahlen in Sachsen-Anhalt im nächsten Jahr stehen.“
„Wenn wir über Parameter reden, wie wir Rassismus wirksam zurückdrängen, müssen wir über den Platz von Migranten in der Gesellschaft sprechen“, sagt der Integrationsbeauftragte aus Magdeburg und meint dabei den so wichtigen Dreiklang aus Selbstorganisation, Selbstwirksamkeit und Selbstermächtigung.
Auch wenn es ihm sichtlich schwerfällt, versucht Günter Piening einen politischen Perspektivwechsel: „Wenn ich die AfD wäre, würde ich täglich feiern, weil ich die Diskurse bestimme.“ Die Normalisierung extrem rechter Narrative frustriere zusehends: „Vor 15 Jahren waren wir da weiter und offener“, so Piening und illustriert diesen Befund mit einem Zitat des langjährigen SPD-Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby aus Halle: „Vielfalt ist Wertschöpfung.“
„Juden gehören zu Deutschland und zu Sachsen-Anhalt, aber gleichzeitig sind wir auch Migranten“, stellt Rimma Fil fest und meint damit dem Umstand, dass die meisten Mitglieder der jüdischen Gemeinden aus den ehemaligen GUS-Staaten eingewandert sind. Das habe zur Folge, dass sie nicht nur antisemitisch angefeindet werden, sondern auch rassistisch diskriminiert werden können. Sie selbst, so die Geschäftsführerin, stamme aus der Ukraine und habe in Donezk eine große Zeitung geleitet. Deshalb berühre sie selbstredend der russische Angriffskrieg auch ganz persönlich: „Die Situation dort ist sehr ernst.“
Abdoul Colibaly hat angesichts der Tatsache, dass die Doppelstadt immer noch keine partizipatives Teilhabegremium hat, einen Rat im Gepäck: „Ich denke, auch Dessau-Roßlau kann einen Migrantenrat gut vertragen.“
Zum Schluss bleibt es Nathalie Schlenzka vorbehalten, ein positiv besetzen Punkt zu machen: „Bei den letzten Wahlen hat die Mehrheit nicht die AfD gewählt, die Mehrheit sind wir.“

Szenenwechsel. An der Gedenkstele für Alberto Adriano im Dessauer Stadtpark haben sich dann 80 Menschen versammelt und damit mehr, als noch bei der Podiumsdiskussion. Vor allem junge Menschen sind es, die dazu gekommen sind.

Karamba Diaby im Stadtpark
Karamba Diaby ist hier der Eröffnungsredner und hält drastisch vor Augen: „Alberto Adriano wurde von drei Neonazis grundlos ermordet. Sein Tod war kein Zufall. Er war ein Opfer von Rassismus und Wegschauen.“ Auch deshalb bedankt er sich zum Anfang beim Multikulturellen Zentrum für die Kontinuität des Gedenkens, die der Verein zusammen mit anderen unter dem Label „Tag der Erinnerung“ seit 25 Jahren auf die Beine stellt. Dafür gibt es angemessenen Szenenapplaus. Für den ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten ist Rechtsextremismus kein Phänomen von Einzeltätern: „Das ist ein Netzwerk, eine Bewegung und eine reale Bedrohung. Menschen die Gesicht zeigen und sich gegen Rechts engagieren erleben Anfeindungen, am Arbeitsplatz, in der Schule und im Netz.“ Deshalb sei es entscheidend, diese Menschen nicht alleine zu lassen. Er fordert in diesen Zusammenhang endlich ein „Demokratiefördergesetz“, dass seit fast 15 Jahren im Gespräch ist, aber von Legislatur zu Legislatur im Bundestag zwar immer wieder diskutiert, aber nie beschlossen wurde. „Demokratie darf nicht zur Nebensache werden, sie braucht Schutz und Menschen die sie tragen“, so der Hallenser.

Das Gedenken wurde von der Magdeburger Band „Tatabu“ musikalisch umrahmt
Kreisoberpfarrerin Annegret Friedrich-Berenbruch beginnt mit einem biblischen Gleichnis von Mitgefühl und Zivilcourage. Warum Adriano, wollte oder konnte niemand helfen – diese Fragen treiben sie um und noch etwas anderes: „Was veranlasst Menschen dazu, gegen die eigene Spezies die Hand zum Mord zu erheben?“ Und nachdem sie daran erinnert, dass Alberto Adriano in Dessau Familie und Freunde hatte, beantwortet die Pfarrerin ihre eigene Frage selbst: „Seine Hautfarbe hat für die Täter gereicht, auf ihn einzuschlagen und diesen Menschen auch noch zu entkleiden.“ Sie schließt mit einer genauso profanen wie zutreffenden Feststellung: „Mit der Stadt Dessau wird der Name Alberto Adriano für immer verbunden sein.“

Die Kreisoberpfarrerin Annegret Friedrich-Berenbruch engagiert sich seit Jahren beim Tag der Erinnerung
Es bleibt Jean-Luc Ahlgrimm vorbehalten, zur Kranz- und Blumenniederlegung mit eindringlichen Worten zu bitten: „Schauen Sie sich die verschobene Diskurse im Bundestag, Landtag und dem Stadtrat an, vorangetrieben von einer Partei die nun auch im Bund als gesichert rechtsextrem eingestuft ist. Dagegen müssen wir aufstehen.“